Samstag, 4. August 2007

Schmerzensmann

An der Schmerzgrenze zu Hause
HAMBURG -Eine Begegnung mit Dimitri Torgowanow kann schmerzhaft sein. Generationen von Spitzenhandballern haben diese Erfahrung gemacht, wenn ihnen der Kreisläufer im Zweikampf seinen wuchtigen Zweimeterkörper entgegengeworfen hat. Aber davon ist nichts zu spüren, wenn Torgowanow im richtigen Leben vor einem steht. Dann trägt er ein Lächeln auf den Lippen, und der Händedruck ist so sanft, dass man nicht glauben möchte, dass es dieselbe Hand ist, die auf dem Spielfeld auch in ärgster Bedrängnis den Ball unter Kontrolle bringt und am Ende oft aus unmöglichen Situationen ins Tor befördert.
Das Gefühl, falsch eingeschätzt zu werden, kennt Torgowanow gut. Vor elf Jahren, als er von St. Petersburg in die Bundesliga wechselte, bekam er von Martin Schwalb den Spitznamen "Pino" verpasst, weil ihn der schlackernde Laufstil des Russen an eine Holzpuppe erinnerte. Schwalb war damals sein Mitspieler bei der SG Wallau-Massenheim, später wurde er sein Trainer. "Er ist ein Grund, warum ich zum HSV gewechselt bin", sagt Torgowanow.
Den Spitznamen ist er nicht mehr losgeworden. "Pino" ist ein Markenzeichen geworden, es steht für einen der besten Kreisläufer und Defensivspieler der Bundesliga. "Er bringt uns Ballsicherheit im Angriff und führt in der Abwehr das Wort", sagt Schwalb, aus diesen Erwägungen habe er den 35-Jährigen von den Rhein/Neckar Löwen nach Hamburg geholt.
Der HSV-Trainer hat sich dafür manches Mal rechtfertigen müssen, weil die Verpflichtung zur proklamierten Verjüngung beim Vizemeister - Goran Stojanovic (41) und Igor Lawrow (34) gingen in Ruhestand, Thomas Knorr und Roman Pungartnik (beide 35) mussten weichen - nicht passen wollte. Torgowanow sagt, die Diskussion habe ihn kalt gelassen. Kann schon sein, dass er ein bisschen langsamer geworden sei, aber das kompensiere er mit seiner Erfahrung: "Wenn ich damit der Mannschaft helfen kann, tue ich das gern.
"Als Kreisläufer ist die Schmerzgrenze Torgowanows Revier. Manchmal geht er auch darüber hinaus. Vor zwei Jahren kugelte er sich im EHF-Cup-Finale die Schulter aus. Er spielte weiter - "aber nur im Angriff", sagt er, ansonsten spricht er ungern über Verletzungen. Am Ende gewann er mit Tusem Essen den Europapokal. Es ist, neben der russischen Meisterschaft, sein einziger großer Vereinstitel.
Das fällt schwer zu glauben, wenn man um Torgowanows Erfolge im Nationalteam - Olympiasieger, Weltmeister, Europameister - weiß. Die Sommerspiele 2008 in Peking hat er sich als finales Ziel gesetzt, dann will er seine Länderspielkarriere beenden und sich mit ganzer Kraft dem HSV widmen. Einmal in der Champions League zu spielen, das ist einer der letzten Träume, den er nun verwirklichen kann.
Dafür nimmt er manche Entbehrung in Kauf. Statt in der Norderstedter Wohnung, die er von seinem Landsmann Lawrow übernahm, weilen Ehefrau Marina und Sohn Andrej im fernen St. Petersburg. Torgowanow wollte es so: "In der Vorbereitung gibt es keine Familie." Er habe ja doch keine Zeit für sie zwischen Training, Testspielen und Umzugsformalitäten.
Die Kollegen hätten ihm die Eingewöhnung leicht gemacht. "Es war, als sei ich schon jahrelang Teil dieser Mannschaft." Er will es noch eine Weile bleiben. An die Zeit nach dem Handball mag er nicht denken, und vielleicht wird es sie auch gar nicht geben. Eines Tages ins Trainerfach zu wechseln, das kann er sich vorstellen. Seine Gegenspieler werden erleichtert sein.

An der Schmerzgrenze zu Hause

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